Aus einem Supermarkt im Großstadtrevier Hamburg an der vielbefahrenen Hauptstraße kam er gerade, als ich Tim nach einiger Zeit zufällig wieder traf. In der linken Hand die Einkaufstasche, rechts die sündhaft teure Baitcastcombo. Sonst nichts. Nur Rute und Rolle. Er war bis eben Angeln und musste noch was für den Kühlschrank kaufen, bevor er endgültig seinen Feierabend einläutet – so erklärt es mir der Dreißigjährige.

Wir kennen uns nur flüchtig, ich verstehe noch nicht ganz: „Und dein Tackle? Wo sind deine Köder?“ Grinsend fummelt Tim eine handtellergroße Plastikdose aus der Jackentasche, öffnet den Deckel und präsentiert den Inhalt: fünf schlanke Gummiköder, keiner länger als sieben Zentimeter. „Mehr brauch’ ich nicht für ein paar Stunden Angelspaß!“ Sein Strahlen wird intensiver. Ich bohre weiter: „Sonst keine Ersatzköder? Wirbel, Hakenlöser, Handtuch… all das?“ „Was ich brauche, habe ich in der Jackentasche. Streetfishing, Florian. Streetfishing!“ Zum Grinsen kommt ein Augenzwinkern hinzu.

Mir wird klar: Darüber muss ich mehr wissen! Ich möchte ihn gerne einen Tag mit dem Fotoapparat begleiten und mir das Ganze aus nächster Nähe ansehen. Kann man mit dieser minimalen Ausrüstung erfolgreich in der Großstadt angeln? Wenn ja, wie? Und auf was? Ich nehme mir vor, Tim nach Strich und Faden auszuhorchen…

„Das Großstadtrevier Hamburg ruft. Wir müssen los!“

Zwei Wochen spater ist es soweit. Tim meldet sich telefonisch: „Florian, die Barsche drehen gerade richtig durch. Wir müssen los!“ „Abgemacht!“ Wir treffen uns nach Feierabend an den Hamburger Alsterkanälen. Diesmal kommt Tim mit ungewöhnlich schwerem Gepäck. Gleich zwei Baitcastcombos und eine mittlere Umhängetasche, in der sich allerdings fast nur Utensilien von der Arbeit befinden.

Auf welche Fische Tim hauptsächlich angelt, beantwortet der sympathische Norddeutsche im Brustton der Überzeugung: „Barsche! Ich nenne sie auch Papageien der Großstadt. “Über einen Zander als Beifang würde er sich nie beschweren, beim Hecht sieht es schon anders aus. „Viel zu schleimig!“ Eindeutig, es sind die Barsche, die es ihm angetan haben. „Mit der langweiligen Faulenzermethode kommst du beim Barschangeln oft nicht weit. Und einen Barsch mit über 35 Zentimetern Länge zu fangen, ist im Normalfall deutlich anspruchsvoller als einen sechziger Zander. Ich mag die kleinen Punks mit ihren Streifen und der hoch aufgestellten Rückenflosse einfach.“
Dass er sie nicht nur mag, sondern auch gut kennt, sehe ich gleich.

Gute Einstellung!

Tim beginnt an einem alten Anleger mit der Drop-Shot-Montage und einem 2,8 Inch kleinen Keitech Sexy Impact als Köder. Bleigewicht: vier Gramm. Das Blei ploppt keine 30 Zentimeter vor der Mauer ins Wasser. Tim zuppelt etwas mit der Rutenspitze, haucht dem unscheinbaren Köder Leben ein. Biss! Zum Vorschein kommt ein kleiner Barsch. Danach noch einer. Eine Minute später der Nächste. Alles keine Riesen, aber auf Ansage gefangen. Tim wechselt den Platz, fängt die nächsten Fische. Keine Frage, er weiß, was er tut! Da ist es dann auch wieder: sein zufriedenes Grinsen. Er freut sich wirklich über jeden Barsch, das fällt auf. Egal, wie klein er ist. Und obwohl er pro Jahr (im stark beangelten Hamburger Stadtbereich) rund 20 Ü40-Barsche fängt, sind ihm die kleineren Artgenossen nicht lästig.

Nach etlichen Barschen wechseln wir die Stelle. Die meisten Spots sind zu Fuß erreichbar. Größere Entfernungen legt Tim mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Als wir nach kurzem Fußmarsch an einer der vielen Brücken ankommen, leitet mich Tim zielstrebig durch ein Gebüsch. Nach 20 Metern tut sich vor uns eine Lücke zwischen den herbstlich gefärbten Bäumen auf und wir blicken auf den Kanal. Mit „Hier geht immer was!“ peitscht Tim den leichten Köder treffsicher unter die Brücke. Zuppel…., zuppel….Biss! Ein besserer Barsch kommt zum Vorschein.

Papageien der Großstadt

Tims Bewegungen sind jetzt etwas hektischer, die Rute deutlich krummer als vorher. Das ist ein Besserer! Und tatsächlich, eine richtig schöne Kirsche von Barsch kommt an die Oberfläche. 36 Zentimeter lang, hübsche Querstreifen auf der Flanke, die Flossen blutrot. „Papageien der Großstadt“ – damit hat Tim recht. Bis tief in die Dunkelheit angelt Tim, immer wieder wechseln wir die Spots. Gezählt haben wir nicht, aber am Ende ist es ein ganzer Haufen Barsche, der sich für seine Köder interessiert hat. Ein kurzweiliges Angeln zwischen Brücken, Autos und Graffitis. Spannend!

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