Mitten im dichten Unterwasserdschungel vieler Seen verstecken sich tagsüber große Fische und Christian Siegler fängt dort Aale auf Sicht – bei bestem Badewetter. Hier lesen Sie, wie’s funktioniert

Hochsommer, 35 Grad, gleißend helles Sonnenlicht: Nur mit einer Rute und Tauwürmern bewaffnet, stehe ich an einem bayerischen Kiessee und starre wie gebannt ins Wasser. Während die anderen Besucher jetzt baden und die Sommerhitze genießen, möchte ich Aale fangen. Kein Witz! Eine ruhige Ecke am See habe ich mir gesucht. Vor meinen Füßen befindet sich ein dichter Unterwasserdschungel: abgestorbene Äste und Gestrüpp bedecken den Gewässerboden. Das dichte Laubdach über mir wirft seinen Schatten auf den Uferbereich. „Ist da Einer?“, schießt es mir durch den Kopf. Nachdem ich eine halbe Stunde lang jeden Zentimeter des Unterwasserdschungels vor mir abgesucht habe, sehe ich zwischen dem ganzen Gestrüpp einen starken Aal. Vorsichtig lasse ich den Tauwurm mit zittrigen Händen in die Äste auf den Gewässerboden sinken. Nur der Kopf des Räubers schaut aus der Deckung hervor. Tatsächlich: Nach wenigen Sekunden verschwindet mein Köder in einem Maul, dass ich vorher kaum wahrgenommen hatte und ein wildes Tauziehen zwischen den Ästen beginnt.

Suchen und Finden

Moment mal: Aale sind doch Nachträuber, besonders in klaren Stillgewässern! Selbst in hellen Vollmondnächten sollen die geheimnisvollen Fische äußerst sensibel, lichtscheu und nur schwer zu überlisten sein – soweit der Volksmund. Mittlerweile weiß ich es besser und fange die Räuber bei hellstem Sonnenschein und Sommerhitze: an der freien Leine, direkt vor meinen Füßen, auf Sicht. Klingt erst einmal sehr komisch – ist es wohl auch, doch vertrauen Sie mir, es funktioniert. Auf die Methode bin ich beim Forellenangeln an einem glasklaren Stausee in Bayern gekommen. Dort habe ich vor ein paar Jahren versucht, Salmoniden am Ufer mit der Fliege zu überlisten – nur durch Zufall nahm ich zwischen den Ästen im Uferbereich eine kleine Bewegung wahr. „Was war dass denn?“, fragte ich mich, denn ich konnte keinen Fisch erkennen. Erst bei genauerem Hinschauen sah ich, dass sich zwei starke Aale direkt am Ufer zwischen versunkenem Astwerk im Schatten der überhängenden Bäume versteckten. Sie lagen einfach zwischen dem Gestrüpp am Gewässerboden und fielen kaum auf. Das glasklare Wasser des Stausees spielte mir aber in die Karten und einmal gewusst, auf was ich achten musste, entdeckte ich an diesem Tag noch mehrere Aale auf Sicht zwischen den Ästen. Total angefixt von diesem Erlebnis wagte ich einige Zeit später die ersten Nachtansitze – ohne Erfolg. Noch etliche Schneidernächte vergingen, bis ich meine Strategie ändern sollte. „Wenn die Aale nicht zu mir kommen, muss ich eben mit meinen Ködern zu den Aalen“ dachte ich mir. Bewaffnet mit einer starken Teleskoprute und Posenmontage kroch ich also mitten am Tag am Ufer des Sees entlang, um die Räuber zu finden und meinen Köder direkt vor ihrem Maul zu präsentieren.

Frei wie der Wind

Schnell merkte ich, dass die Pose störte. Immer wieder musste ich den Schwimmer verstellen. „Eigentlich brauch‘ ich das Ding ja gar nicht“ dachte ich mir und so schnell wie der Gedanke aufkam, war der Schwimmer ab. Freie Leine hieß die Devise. Ich knotete lediglich einen Haken an die Hauptschnur – ohne Gewicht, ohne Pose, ohne Schnickschnack. Wir müssen den Köder ja nicht weit befördern, die Fische stehen eh am Ufer. Es sollte nicht lange dauern, bis ich den nächsten Schlängler zwischen den Ästen ausgemacht hatte. Ziemlich aufgeregt beköderte ich den Haken mit einem Tauwurmstück und ließ den verlockenden Happen unter der Rutenspitze absinken. Durch das klare Wasser konnte ich alles gut beobachten und zuckte zusammen, als der starke Aal das Wurmstück mit einem Schlag verschlang. Total perplex setzte ich den Anhieb, um anschließend die pure Kraft dieses muskulösen Fisches zu spüren. Wahnsinn, welche Power diese Tiere entwickeln, wenn sie direkt vor den Füßen beißen. Der Aal drehte sich und zerrte einige Meter Schnur von meiner fast geschlossenen Bremse, bis er abriss und mich mit einem schrecklichen Gefühl am Ufer zurückließ.

Dicker, stärker, stabiler

„Da musst Du wohl noch ne Schippe drauflegen“, erklärte mir ein Freund, dem ich von diesem Erlebnis erzählte. Recht hatte er, denn der nächste Versuch gelang und ich konnte einen guten 80er Aal aus dem Gestrüpp des klaren Sees zerren. Stabiles Gerät ist extrem wichtig, denn nachdem unser Zielfisch den Köder genommen hat und spürt, dass etwas nicht stimmt, gibt es kein Halten mehr. Da wir die Aale auf Sicht, mitten in den versunken Ästen beangeln, müssen wir sie nach dem Biss dort irgendwie raus bekommen – zur Not mit dem gesamten Gestrüpp. Feines Angeln ist anders. Die ganze Aktion erinnert eher an ein Tauziehen. Eine kräftige Karpfenrute, kombiniert mit einer stabilen Stationärrolle mit starker Bremse und mindestens 0,40er Mono sind ganz und gar nicht übertrieben. Auch die Haken müssen dickdrähtig und belastbar sein. Da ich nur kleine Wurmstücke anködere, brauche ich keine speziellen Wurmhaken, sondern verwende gerne Greifer der Größe 4 aus dem Karpfenbereich. Als sehr wichtiges Hilfsmittel bei dieser Angelei erweist sich eine gute Pol-Brille. Sie erleichtert uns das eh schon schwere Finden der Schlängler zwischen den Ästen.

Aale auf Sicht: Und sie bleiben mystisch

Über die Jahre haben mich die Aale an diesem Gewässer immer wieder überrascht. Ich hätte nie Gedacht, dass die Fische mit den angeblich schlechten Augen doch so gut unsere Bewegungen am Ufer wahrnehmen können. Viel zu oft habe ich mich zu tollpatschig angestellt und konnte den Aalen nur noch beim erschrockenen Flüchten zusehen. Ruhige und vorsichtige Bewegungen sind also Pflicht – wir entdecken eh mehr Fische, wenn wir nicht so hektisch ums Gewässer toben. Und noch etwas konnte ich im klaren Wasser des bayerischen Stausees beobachten: Der weiter oben beschriebene, schnelle und harte Biss ist eher die Ausnahme! Oft lassen sich die Schlängler Zeit und betrachten das Wurmstück genau. Manchmal bekam ich den Eindruck, als konnten die Fische die dicke Schnur sehen, denn oft flüchteten die Räuber erschrocken, ohne auch nur Kontakt mit dem Köder aufgenommen zu haben. Ein anderes Mal zupften sie nur sehr vorsichtig am Wurm, um mir, nachdem sie den Haken spürten, „Good Bye“ zu sagen. Dieses Schauspiel habe ich schon an mehreren Stauseen erlebt, doch wenn alles glatt geht, wir unser Wurmstück sauber vors Aalmaul hinunter sinken lassen können und die schleimigen Kollegen willig sind, dürfen wir uns auf ein knallhartes Tauziehen zwischen den Ästen freuen. Halten auch Sie an Ihren Gewässern also immer die Augen auf und nehmen sich die Zeit – Aale auf Sicht zu fangen ist spannend und lohnt sich!

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