Vertikales Speedjiggen nennt sich eine in Schweden neu entwickelte Angelmethode, die in tiefen Naturgewässern beim Angeln auf Saiblinge zum Einsatz kommt. Was Christian Siegler und Florian Läufer am Vättern erlebt haben, lest Ihr hier:

Seit Stunden starrt Henrik auf das Echolot. Er steuert mit einer Hand am Außenborder das Boot, drückt mit der anderen immer wieder einen der vielen Knöpfe am Fischfinder, ist hochkonzentriert, um seinen Hals hängt die Fernbedienung für den Elektromotor. Plötzlich Fisch auf der Anzeige. Sofort stoppt der sympathische Mittdreißiger den Benzinmotor, legt den Rückwärtsgang ein und aktiviert den I-Pilot (GPS-gesteuerter Elektromotor) via Fernbedienung, um die Position zu halten. Da sind sie wieder, direkt unter uns: drei schmale Sicheln in 24 Metern Tiefe. „ Go!“ sagt Henrik mit unterstützendem Kopfnicken. Das ist unser Signal. Mit einem Druck auf den Freilauf der kleinen Baitcaster-Rollen lassen Christian und ich unsere Gummifische am 40 Gramm schweren Bleikopf in die Tiefe sausen, können ihren Weg als schmale Linie auf dem Bildschirm des Echolots verfolgen. Zehn Meter, dann zwölf, schließlich achtzehn und über zwanzig Meter schießen unsere Köder senkrecht nach unten.

Nur quälend langsam vergehen die Sekunden, bis die Gummis endlich im heißen Bereich ankommen. Henrik hält das Boot routiniert auf der Stelle, die Fische sind noch immer da – der Mann weiß, was er tut. Kurz bevor die Köder bei den Fischen sind, verändert sich plötzlich die Anzeige auf dem Bildschirm. Zwei der drei Sicheln bewegen sich auf die Köder zu, die jetzt nur noch rund drei Meter von den Fischen entfernt sind. Noch ein kleines Stückchen lassen wir die Gummis tiefer hinunter, dann legen wir die Kurbel um und holen sie fast zeitgleich mit schnellen Umdrehungen nach oben. Jetzt kommt auch in die dritte Sichel Bewegung. Alle drei Fische verfolgen unsere Köder, die jetzt die 15-Meter-Marke passieren, dann auf zwölf und zehn Meter aufsteigen. Plötzlich sind die Anzeigen vom Bildschirm verschwunden. Sekundenlang. Einen Biss bekommen wir nicht. Wieder lassen wir die Gummis im Kegel des Echolotgebers auf Tiefe. Irgendwo müssen die Fische noch sein. Bei 24 Metern beginnen wir erneut mit dem Kurbeln. Baaaam! Aus dem Nichts kriege ich einen Biss, in der gleichen Sekunde wird mir das dünne Geflecht von der Rolle gerissen. Der Fisch legt eine rasante Flucht hin. Unmöglich, ihn mit der leichten Vertikalrute zu stoppen. Kurz gewinne ich Oberhand, dann nimmt mein Gegner erneut Fahrt auf. Nach einigen Minuten bekomme ich die Lage unter Kontrolle, kann den Fisch langsam Richtung Wasseroberfläche dirigieren. Henrik steht mit dem Kescher bereit und schiebt das Netz unter den Fisch. Yessss! Mein erster Saibling! Was für eine aufregende Angelei.

Wer hat’s erfunden?

Ort des Geschehens ist der riesige Vättern mit seinen knapp 1.900 Quadratkilometern Wasserfläche. Durchschnittlich ist das Gewässer gut 40 Meter tief, im südlichen Teil geht es sogar bis auf 128 Meter hinunter. Der (natürliche) Saiblingsbestand ist ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. Seit der Eiszeit leben die Saiblinge (und Seeforellen) in dem zweitgrößten Binnengewässer Schwedens. Der ist übrigens außergewöhnlich klar und kann Sichttiefen von über 15 Metern aufweisen.

Auf Saibling wird am Vättern schon seit Generationen geangelt. Neu ist die eben beschriebene Methode: „Pelagic vertical speedjigging“ nennen es die Einheimischen. Also schnelles, vertikales Freiwasserangeln. Die Idee leitet sich vom pelagischen Vertikalangeln auf Zander ab, das ebenfalls seinen Ursprung in Schweden hat und dort seit einigen Jahren für Furore sorgt. Das klingt etwas kompliziert – ist es auch. Mittels moderner Echolottechnik wird nach Einzelfischen gesucht, die dann gezielt beangelt werden, während das Boot mit GPS und Elektromotor in Stellung gehalten wird. Beim Zanderangeln sind neben dem Echolot auch Side Imaging-Geräte im Einsatz, um auch dann noch eine Anzeige zu bekommen, wenn sich die Fische seitlich vom Boot wegbewegen. Aufgrund der hohen Gewässertiefe ist die Side-Imaging-Technik für Saiblinge allerdings weniger wichtig. Weiterer Unterschied: Während die Köder beim Zanderangeln fast bewegungslos über den Köpfen der Fische angeboten werden, ist beim Saiblingsangeln Tempo der Schlüssel zum Erfolg. Die Köder müssen rasant durch die Wassersäule gekurbelt werden, sonst gibt es keine Bisse. Was bleibt, ist die Schwierigkeit, auch bei Wind und Wellen das Boot über den Fischen zu halten. Erfahrung, Training und natürlich der I-Pilot sind dazu nötig. Guide Henrik von Fishing-in-Sweden verfügt über beides und bringt uns so zum Fisch. Keine Stunde nachdem ich meinen Saibling zurückgesetzt habe, ist Christian an der Reihe. An Thüringens Bächen und Talsperren aufgewachsen, ist er ein echter Salmoniden-Crack mit einem Haufen Erfahrung, konnte bisher aber ebenfalls noch nie einen wilden Seesaibling ins Fangbuch eintragen.

Fotos, Fotos, Fotos

Das änderte sich schlagartig: „Biss! Ich hab einen!“ ruft er mit gekrümmter Rute und singender Rolle in der Hand. Der Überraschungsfaktor beim vertikalen Speedjiggen ist sensationell. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde setzt sich ein wütender Saibling ausdauernd zur Wehr, während man eben noch seinen Köder zum hundertfünfzigsten Mal erfolglos aus der Tiefe nach oben gekurbelt hat. Denn: Die Fische am Bildschirm ausmachen und tatsächlich einen von ihnen zum Anbiss verleiten, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Die Fische zeigen Interesse, folgen dem Köder drei-, vier- oder fünfmal aus 20 Metern Tiefe bis knapp unter die Oberfläche und verschwinden häufig dann doch von der Bildfläche, ohne dass wir auch nur einen Anfasser bekommen. Diesmal hat es geklappt. Ich hole meine Rute ein, um Christian ausreichend Platz für den tobenden Saibling zu lassen. Ich sehe das Leuchten in seinen Augen. Sie kennen den Ausdruck, aus den Augen eines glücklichen Anglers, der wenige Minuten von seinem Traumfisch entfernt ist. In etlichen Metern Tiefe sehen wir bald den hellen Leib des Fisches emporkommen. Immer klarer werden die Konturen. Da, jetzt erkennen wir die rötlich gefärbten Flanken des Saiblings, der zu einer letzten, kurzen Flucht ansetzt, bevor Henrik den Kescher unter den Fisch schiebt. Christian ballt die Faust, jetzt gibt es nur noch eines: Fotos, Fotos, Fotos! Wieder hat es Henrik geschafft, zwei Angler sehr glücklich zu machen. Und im Laufe des Tages legen wir sogar noch eine Schippe drauf, können weitere Saiblinge ins Boot bringen. Wahnsinn!

Mehr geht nicht am Vättern

Die Story ist hier aber noch nicht zu Ende. Ja, sie wird noch viel besser. Eine Stunde haben wir noch, dann müssen wir zurück in den Hafen von Gränna. Christian und ich sind eh schon vollkommen zufrieden mit unseren Fangergebnissen, Henrik hat sich bisher mit der Angelei sehr zurückgenommen. So, wie es ein professioneller Guide tut, der seinen Gästen einen tollen Angeltag bereiten möchte. Dann plötzlich, 30 Minuten vor Schluss, gibt es einen mächtigen Einschlag in der Rute von Henrik. In Raketengeschwindigkeit zieht sein Kontrahent Schnur von der Rolle. Als in Henriks Stimme Aufregung hörbar wird, wissen wir, dass ein richtiges Kaliber an seiner Angel tobt. Hektik. Henrik bleibt cool – soweit es ihm gelingt. Während der Fisch auf die andere Seite des Bootes flüchtet und Henrik eine neue Position zum Drillen einnehmen muss, gibt er Anweisungen, den Kescher vorzubereiten. Ich greife mir das Netz, Christian hält mit der Videokamera drauf. Ein lautes „Ooouuhh!“ tönt aus drei Kehlen durchs Boot, als der Fisch an die Oberfläche kommt. Kein Saibling, eine Seeforelle hat den Köder genommen.

Eines ist sicher: Sie ist groß! Nach einigen weiteren Fluchten gelingt der erste Kescherversuch, der Fisch gibt sich trotzdem nicht geschlagen und versucht aus den Maschen zu springen. „So nicht, mein Freund!“ – auch wenn es knapp wird. In Grund und Boden hätte ich mich geschämt, wenn der Salmonide jetzt noch entkommen wäre. Henrik wuchtet den Fisch auf die Abhakmatte. Da liegt sie – eine imposante Seeforelle. 77 Zentimeter lang und über fünf Kilo schwer. Später wird sich herausstellen, dass es die schwerste Seeforelle ist, die jemals am Vättern mit dieser Methode gefangen wurde. Wie Sommersprossen sind die schwarzen Tupfen über den silbernen Körper verteilt, der mit der Abendsonne um die Wette strahlt. Wir schießen einige Bilder, dann setzt Henrik den Fisch in sein Element zurück. Mit langsamen Flossenbewegungen verschwindet die elegante Kämpferin in der Tiefe des Sees. Dort, wo noch weit größere Salmoniden ihr Unwesen treiben…

DIE METHODE: Traditionell wird am Vättern mit Trolling-Booten auf Saibling gefischt. Eine sehr erfolgreiche Angelart, schließlich wird hier mit vier, sechs und mehr Ruten geangelt, bei der die Köder dank Downrigger und Sideplaner in unterschiedlichen Tiefen angeboten werden. Hat ein Fisch gebissen, nimmt der Angler die krumme Rute aus dem Halter und drillt den Fisch während der Weiterfahrt des Bootes. Durchschnittsfische zwischen 45 und 60 Zentimetern Länge werden hierbei wie nasse Säcke eingekurbelt. Das Speedjiggen auf Saiblinge ist eindeutig die spannendere Variante, den Fischen zu Leibe zu rücken. Die Methode dürfte auch in jedem anderen Gewässer mit ähnlichen Strukturen zum Erfolg führen. Beim Speedjiggen fängt man im Schnitt weniger Fische, dafür sorgt die Angelei für direkte Bisse, die bis ins Handteil der Rute übertragen werden, gefolgt von hitzigen Drills unmittelbar unter dem Kiel des Bootes.

DIE AUSRÜSTUNG: Rund zwei Meter lange Vertikalruten und leichte Baitcaster-Rollen, gefüllt mit 0,12er bis 0,15er Geflecht sind das ideale Werkzeug für das Speedjigging. Als Köder dienen 10 bis 15 Zentimeter lange Gummifische, die mit gut 40 Gramm schweren Bleiköpfen auf Tiefe gebracht werden. Fluorocarbonvorfächer mit rund 0,40 Millimetern Durchmesser sind aufgrund der hohen Sichtigkeit des Gewässers wichtig.

DER SEE: Der Vättern ist der zweitgrößte See Schwedens. Christian und Florian starteten vom Hafen der Ortschaft Gränna und fischten im Bereich rund um die Insel Visingsö im Süden des Gewässers. Erfreulich: Eine Angellizenz ist nicht nötig!

DIE FISCHE: Die beste Zeit zum Saiblingsangeln sind die warmen Sommermonate Juni, Juli, August und Anfang September. Vom 15. September bis 30. November ist das Angeln nur eingeschränkt möglich.

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